Bunte Blätter – 1930 (Heft I) – Wie Goethe Silvester feierte

Wie Goethe Silvester feierte

S. 16 (linke Spalte)

Goethe hat des Jahres letzter Stunde stets besondere Bedeutung zugemessen und sie gern in fröhlichem Kreise verbracht, als Jüngling mit den Kameraden oder mit dem Herzog wild durch die Nacht schwärmend, als Mann mit Schiller beim Champagner auf dem Hofball. In seiner späteren Zeit verlebte er eine Zeitlang den Silvesterabend bei Johanna Schopenhauer, der Mutter des Philosophen, die selbst eine Schriftstellerin war und den ersten bürgerlichen Salon in Weimar eröffnete. Ihre Abendgesellschaften wurden berühmt, weil sich hier die geistigen Heroen Ilm-Athens gern versammelten. Die Bedeutung, die die kluge und welterfahrene Hoffrätin Schopenhauers für die Weimarer Gesellschaft in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts besaß, geht aus dem Buch hervor, das Professor H. Houben unter dem Titel “Damals in Weimar! Erinnerungen in Briefe von und an Johanna Schopenhauer” bei Klinkhardt und Biermann in Leipzig herausgegeben hat.

Besonders feierlich und manchmal (< menchmal) ausgelassen verliefen die Silvesterfeiern, die Goethe in den Jahren 1806, 1807 und 1808, gelegentlich auch später, leitete. Doch konnte Goethe mitten in der grössten

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Heiterkeit plötzlich ernst werden. Zu Silvester 1807 hat Johanna Sänger und Sängerinnen des Theaters eingeladen, um dem Abend eine musikalische Weihe zu geben. “Goethe kam von der Lektüre italienischer Schäferidyllen,” erzählte Schütze, “und befand sich in einer sanften lyrischen Stimmung, in welcher er sich auch mit großer über das Gelesene aussprach. Nachdem herrliche Lieder, besonders von Zelter, waren gesungen worden, während Goethe in den Zimmern auf und ab ging, setzte sich die Gesellschaft an verschiedene Tische. Ich bekam einen Platz unter den Künstlern und gab mich hier umso lieber lustigen Einfällen hin, als in diesem Kreise eine Lachtaube befand, die für Scherze sehr empfänglich war. Aber plötzlich – mitten in der Fröhlichkeit – klopfte Goethe auf den Tisch, augenblicklich Stille und Gesang gebittend. Da hätte man sehen sollen, wie das halbausgesprochene Wort auf den Lippen erstarb, wie die Mienen zuckten und ein Wetterleuchten über die Gesichter fuhr. Zum Glück haben Schauspieler sich mehr in ihrer Gewalt als andere Menschen. Sie blieben nun auf ihrer Hut, und wie Goethe einmal aufgestanden war, schlich einer nach und kam mit der Nachricht zurück: Er lacht! Was denn die vorige Lust wieder zurückführte.”